Jürgen Diethe
Somerled
Mythos und Wahrheit eines
schottischen Königs
Selten gibt es einen schottischen König, der mit so
vielen Mythen und magischen Ereignissen behaftet ist, wie Somerled, der als
Stammvater mehrerer schottischer Clans bezeichnet wird und im Ruf steht, nach
dem Zurückdrängen der Norweger die gälische Kultur gerettet zu haben.
Selten gibt es einen
schottischen König, der mit so vielen Mythen und magischen Ereignissen behaftet
ist, wie Somerled, dessen Name immer wieder in der britischen Geschichte
auftaucht wie ein Irrlicht. Der sagenumwobene Herrscher spielte seine
Hauptrolle in der diffusen Insel- und Küstenwelt um die Irische See, mit den
Hebriden, Argyll und Lochaber, der Insel Man und selbst Irland. Hier waren die
Nordmänner, mit wechselnden Bindungen zum norwegischen König, dessen
Souveränität oft nur nominell war, die dominante Macht, aber neben den Schotten
mischten auch Iren und selbst die Engländer, die gestärkt aus der normannischen
Eroberung hervorgegangen waren, mit. Und letztlich eben Somerled nach seinem
dramatischen Machtaufstieg.
Der schottische König drängte
die Norweger zurück und ist deshalb zum Retter der gälischen Kultur erklärt
worden. Dem folgt die heutige Geschichtsschreibung so einseitig nicht mehr,
aber Tatsache ist, dass die einst skandinavischen Hebriden heute die
wichtigsten und fragilen Hochburgen der gälischen Sprache in Schottland sind.
Und Somerled wird mit Recht als Stammvater mehrerer schottischer Clans geführt,
allen voran des größten und prominentesten: den MacDonalds. Ihr Stammbaum
beginnt mit Somerled, weiter zurückreichende Ahnenfolgen sind weitgehend
Phantasie. Kein Zweifel: der Name hat denn doch mit Recht die Neugier gezündet,
auch wenn das Netz der Beziehungen und Ereignisse außerordentlich kompliziert
ist, selbst in Schottland, aber besonders im Raum um die Irische See, weil dort
so viele Fäden zusammenliefen.
Inhalt: Einleitung
- Von Pictavia nach Albania - Jenseits der Berge: das Spannungsfeld um die
Irische See - Somerled betritt die Bühne - Das neue Schottland - Somerled und
Schottland - Somerleds Erben und die Lords of the Isles - Gesellschaft und
Krieg - Könige der Inseln - Anhang 1: Uspaks Feldzug - Anhang 2: Norwegens
letzter Feldzug im schott. Westen
Autor: Jürgen Diethe, 1947 in Bad Harzburg geboren,
arbeitete als freier Journalist und Fernsehsprecher und lebt seit über 40
Jahren in Großbritannien, die letzten 20 Jahre in Schottland. Seine
journalistischen Sporen verdiente er sich beim deutschen Programm der BBC, in
den Abteilungen Nachrichten, Politik und Sport. - Er ist promovierter
Politikwissenschaftler, nach einem Studium in Englisch, Geschichte und Politik
in Göttingen, und hat Bücher und Aufsätze über die englische Revolution
veröffentlicht. Schottland, mit seinen großartigen und geheimnisvollen
Landschaften, ist seine große Liebe. Deshalb war es naheliegend u. a. über die
Themen "Pikten" und „Somerled“
zu forschen und zu schreiben.
Buchauszüge: Somerled
betritt die Bühne: Schon diese
Überschrift ist eine kühne Feststellung: während wir das Datum seine Todes
genau kennen, ist sein Geburtsjahr nicht gesichert – irgendwann zwischen 1100
und 1110. Rein gefühlsmäßig würde ich zu einem eher früheren Datum tendieren,
was sein Lebenswerk in eine bessere Perspektive rückt und an verschiedenen
Stellen seiner Karriere sinnvoller erscheint. Seine Herkunft ist von
zahlreichen Mythen umrankt, der Name seines Vaters ist jedoch gesichert:
Gillebrigte oder Gillebride – je nach Sprache gibt es ja verschiedene Versionen
der meisten zeitgenössischen Namen. Somerled selbst hatte einen skandinavischen
Namen – sumarlidi hieß soviel wie „Sommerreisender“ oder „Seeräuber“, also
Wikinger. Im skandinavischen Sprachraum gab es eine Reihe von Personen dieses
Namens. Die gälischen Versionen Somerle oder modern Somhairle müssen uns daher
nicht weiter beschäftigen.
Es ist sicher Somerleds
bleibender Einfluß auf das schottische Clan-System, der dazu führte, daß ein
weit zurückreichender Stammbaum für ihn konstruiert worden ist. „Konstruiert“,
weil seine Herkunft alles andere als klar ist, selbst wenn auch jetzt noch
Autoren zumindest einige Aspekte dieses Stammbaums durchaus ernstnehmen.
(Kap. "Somerled betritt
die Bühne")
Die Expansion von Somerleds
wachsendem Reich mag so verlaufen sein, wie sie in der zitierten Geschichte der
MacDonalds beschrieben wurde, aber solange Olaf auf der Insel Man an der Macht
war, dürften Somerled, der zweifellos zum zweitwichtigsten Machtfaktor im
Westen geworden war, und Olaf darauf bedacht gewesen sein, das
Kräftegleichgewicht in Balance zu halten. Dafür spricht auf jeden Fall die
drastische Art und Weise, wie sich die Dinge nach 1153/54 änderten, und zwar
zugunsten von Somerled. Anfang der 1150er Jahre war Olaf ein alter Mann, mit
seinem Sohn Godred als designiertem Nachfolger. Der reiste 1152 nach Norwegen,
um König Inge, dem offiziellen Oberherrn seines Vaters, zu huldigen. Just zu
diesem Zeitpunkt, vielleicht um die Abwesenheit von Godred auszunutzen, kehrten
die drei Neffen Olafs aus ihrem langen irischen Exil zurück, an der Spitze einer
Truppe von Kriegern. Sie waren die Söhne von Olafs älterem Bruder Harald,
Godred Crovans zweitem Sohn, den Lagman, der älteste der drei Brüder, fast 60
Jahre vorher geblendet und kastriert hatte. Die drei, die ihrerseits alte
Männer gewesen sein müssen, pochten mit Waffengewalt auf ihr angebliches Recht
auf die Hälfte des Königreichs der Inseln. So lesen wir es in der Chronik von
Man.
(Kap. "Somerled betritt
die Bühne")
Somerleds letzter Auftritt
auf der historischen Bühne kam 1164 – da war er möglicherweise bereits 64 Jahre
alt, wenn wir von 1100 als Geburtsdatum ausgehen. Wie gesagt, sein letztes,
aber auch gleichzeitig sein größtes Unternehmen. Der Chronik von Man zufolge
hatte er eine Flotte von 160 Schiffen versammelt, und er zog mit einer Armee aus,
die er aus seinem gesamten Einflußbereich zusammengezogen hatte, einschließlich
Kontingenten aus Irland (Dublin), wie die Chronik von Melrose ausführt – mehr
Einzelheiten erfahren wir aber aus den Annalen von Ulster, wo von „Männern aus
Argyll, aus Kintyre und von den Hebriden und den Gall von Dublin“ die Rede ist,
wobei es sich bei Gall um Nordmänner handelte. Angesichts der Flotten, die
Somerled gegen Godred aufgeboten hatte – 80 Schiffe in der Schlacht der
Epiphanie und 54 bei der Invasion von Man – kalkuliert Marsden, daß die
Skandinavier in Dublin mindesten 60 Schiffe beigetragen haben müssen, darunter
die gefürchteten Langschiffe der Wikinger.77
Demgegenüber muß freilich
daran erinnert werden, daß die Position der Skandinavier zuletzt erheblich schwächer
geworden war. Doch sie waren dabei, ob aus Bündnistreue oder wegen der
Gelegenheit eines Plünderungszuges, ist hier relativ unwichtig. Falls die in
der Chronik angegebene Zahl wirklich stimmt, kann man davon ausgehen, daß
Somerled mit rund 4000 Mann aufbrach, einer für die damalige Zeit (und
angesichts seines relativ dünn besiedelten Herrschaftsbereiches) ansehnlichen
Streitmacht.
Welches Ziel er mit dieser
Operation verfolgt haben mag, soll gleich angesprochen werden; auf jeden Fall
steuerte die Flotte in den Fluß Clyde und landete offenbar in Greenock, wo der
Fluß in den Firth of Clyde mündet. Im Grund muß Somerled gewußt haben, daß er
ein großes Risiko einging, als er mit seinen Truppen an Land stieg. Die Stärke seiner Streitmacht lag auf dem Wasser
– einer Flotte von dieser Größe dürfte kaum ein schottischer Gegner ebenbürtig
gewesen sein, doch auf dem Land hatte z. B. die Battle of the Standard gezeigt,
wie unterlegen heroisch kämpfende Krieger, die eher ungeordnet anrannten, den
gepanzerten Rittern nicht zuletzt der normannischen Hilfstruppen waren.
Somerled mag damals nicht dabei gewesen ein, aber die Berichte über das
Debakel, vor allem der wilden Männer von Galloway, müssen auch ihn erreicht
haben. Doch was immer Somerleds Ziele waren, er mußte an Land gehen, wenn er
einen Feldzug in Schottland führen wollte.
(Kap. "Somerled und
Schottland")
173 Seiten mit vielen Farb- und
Schwarz-weiß-Abbildungen, Hardcover, Format 16,5 x 24,5cm
EUR 26,10 (A)
– CHF 45,70
Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 16. März 2022 im Shop aufgenommen.